RTS Widzew Lodz - Lodzki KS 0:0
05.10.2007
Stadion Widzew
Ekstraklassa
Zuschauer: 9.200


Viel hatte man gehört, viel hatte man gelesen über die Fankultur in Polen ohne jedoch selbst einmal da gewesen zu sein. Mehrere Versuche in der Vergangenheit diesen Missstand auszubügeln, scheiterten aufgrund fehlenden Geldes, fehlender Zeit und fehlender fähiger Mitfahrer.
Letzterer Umstand lies sich zu dieser Fahrt zwar leider auch nicht ändern, dafür hatte ich Zeit und (naja, ein wenig) Geld und da der Spielplangott es gut meinte und zwei der interessantesten Partien Polens auf zwei aneinanderfolgende Tage legte, sollte es endlich vollbracht werden.
Projekt Polentrip konnte vollzogen werden.

Los ging es am Donnerstag Nachmittag nach dem Seminar in der verbotenen Stadt direkt Richtung Grenzstadt Frankfurt/Oder, welche man nach gut 5 Stunden A2-Terror erreichte und hier in einer Pension eincheckte, um Kraft für den nächsten Tag zu tanken.
Um kurz nach 6 klingelte dann auch schon wieder der Wecker und nach Dusche und kargem Frühstück begab ich mich die letzten Meter zum Frankfurter Bahnhof.
Um 7:39 Uhr sollte der Berlin-Warzsawa-Express einrollen, um mich via Poznan zum Umsteigebahnhof in Kutno zu bringen. Wie der Leser an dem Wort "sollte" vielleicht erahnen kann, kam alles anders als gedacht.
Die Gewerkschaft der Lokführer rief an diesem Morgen zum Streik auf, betroffen auch mein angedachter Zug. Aaaaauurghhhh, da fährt man einmal im Jahr mit der Bahn und wird gleich mit voller Wucht vom Arbeitskampf getroffen.
Nächste Möglichkeit wäre also die Regionalbahn um 10:10 Uhr gewesen, aber ob diese fährt, sei noch nicht klar, so die Frau hinter dem Infoschalter.
Was nun? Sollte mein Polentrip erneut scheitern, bereits hier ein jähes Ende nehmen?
Mal die herumlungernden Taxifahrer vorm Bahnhof fragen, was ne Fahrt zum nächsten Anschlussbahnhof in Rzepin kosten solle. 35 Euro! Naja, nein Danke...
Nun war guter Rat teuer. Am Infoschalter bemerkte ich dann einen Kerl (ich nenne ihn jetzt mal Marek, weil ja alle männlichen Bewohner Polens Marek heißen, genau wie alle Deutschen Heinz oder Günther...) mit seiner Frau und Kind, der den Ausfall des Zuges ebenfalls recht niedergeschlagen hinnahm und quatschte diesen sofort an.
"Die Taxifahrt nach Rzepin kostet 35 Euro! Vielleicht schaffen wir es von dort!"
"Aha, Taxifahrt? Ich bin aber mit Auto hier! Wenn du willst nehmen wir dich mit nach Rzepin und versuchen es von dort!"
Ja cool, ohne lange zu grübeln stieg ich mit ins Auto und kurze Zeit später überquerten wir ohne Probleme die Grenze zu Polen.
Zeit sich etwas kennen zu lernen. Er, so Mitte 30, war Deutscher, sprach aber fließend polnisch und arbeitete daher als Übersetzer. Seine Frau hingegen saß mit einem etwa einjährigen Kind auf der Rückbank und sprach nur ein wenig deutsch.
Nach einer halben Stunde Fahrt erreichten wir dann Rzepin, bzw. den örtlichen Bahnhof, welcher recht verlassen wirkte und wo uns die Frau im kleinen Bahnhofsgebäude erklärte, dass hier ebenfalls kein Zug in die gewünschte Richtung fahre.
Mhhhh, Marek, der eigentlich nur sein Kind und seine Frau nach Frankfurt zum Bahnhof bringen wollte, damit diese weiter Richtung Poznan zu Verwandten fahren können, schlug vor, es in einer der nächsten Städte (Name vergessen) zu versuchen. Hier gäbe es einen Bahn- und Busbahnhof.
Kein Problem, weiter geht die Reise über polnische Landstraßen.
Einige Zeit später erreichte man besagte Stadt (oder Dorf??), wo zwar einige Busse standen, die sogar fuhren, aber halt nur die umliegenden Käffer bedienten.
Tja, was folgt jetzt wohl? Marek (mir fällt grad auf, man redete auf der knapp 2-stündigen gemeinsamem Fahrt über so einiges, erkundigte sich aber nie nach dem jeweiligen Namen) schlug vor, in die nächste Stadt, so 60 km vor Poznan, zu fahren, da dort der Vater seiner Frau stehen würde, um dessen Tochter abzuholen.
Ich also natürlich wieder mit an Bord und die restlichen Kilometer gen Zwischenziel abgerissen. Hier wurde an einer Art Restaurant halt gemacht. Der Vater empfing seine Tochter und sein Enkelkind und ich tauschte erstmal Euro in Zloty um.
Hier sollte also meine Mitfahrgelegenheit enden. Der Marek war jedoch so nett, mich noch zum örtlichen Busbahnhof zu fahren und hier für mich als Dolmetscher zu fungieren.
Ein Bus nach Poznan fährt in einer halben Stunde. Perfekt.
Man verabschiedete sich also hier, wünschte sich eine gute Weiterreise bzw. Heimfahrt, wobei es ihm sogar leid tat, dass er nicht mehr für mich tun konnte. War mir dann doch ein wenig peinlich! Sehr, sehr sympathisch und hilfsbereit, der Marek.

Gut, da stand ich nun, ich armer Wicht auf einem gottverlassenen Busbahnhof im polnischen Nirgendwo zwischen einer Handvoll jogginghosentragender Dorfjugendlicher und einigen älteren Menschen und wartete auf meinem Bus.
Der kam sogar pünktlich und fuhr mich für 2 Zloty (ca. 50 Cent) innerhalb einer Stunde nach Poznan, von wo aus die Reise Richtung Lodz weitergehen konnte.
Die Freundin in der Heimat wurde zwischenzeitlich durch mich von der Arbeit abgehalten, da sie mir diverse Zugverbindungen raussuchen musste, um sicher zu gehen, in Poznan den Zug nach Kutno zu bekommen. Zeitpolster war genug vorhanden, und so konnte ich mich entspannen.
In Poznan schließlich angekommen sprang ich in meinem Wahn völlig sinnlos an irgendeiner Haltstelle aus dem Bus, da ich dachte dies wäre der Bahnhof. Sah aber eigentlich nicht wirklich nach Bahnhof aus und war es natürlich auch nicht. Schnell einen Einheimischen nach dem Weg gefragt, konnte mir dieser auch weiterhelfen und nach etwa zehn Minuten Fußmarsch stand ich vor Poznan Glowny, was so etwas wie der Hauptbahnhof Poznans ist.

Hier wurde ein Ticket zur Weiterfahrt nach Lodz klargemacht und eine halbe Stunde später saß ich im Zug. Züge in Polen sehen übrigens zum größten Teil so aus, wie die bei uns vor 15 -20 Jahren oder so, nämlich fast ausnahmslos mit geschlossenen Abteilen. Eine Platzreservierung gab es für mich nicht mehr, sodass ich für die nächsten zwei Stunden im Gang verharren musste, was aber jetzt auch nicht das Problem darstellen sollte und mir Ken Follets "Säulen der Erde" die Zeit recht gut vertrieb.
Beim Umstieg in Kutno, von wo aus mit der Bimmelbahn die letzten 80km nach Lodz abgerissen wurden, kam dann erstes Fußballfeeling auf. Die Bahnunterführung ist hier dichtgeschmiert mit Schriftzügen, wie "Widzew Hooligans" und dergleichen.
Ganz interessant dann im weiteren Verlauf der Zugfahrt entlang der Strecke zu sehen, wie die Widzew-Schriftzüge weniger und die LKS-Schriftzüge dafür mehr wurden.
Scheint also zu bestätigen, dass Widzew seine Anhänger hauptsächlich aus gleichnamigen Stadteil Lodz` und den umliegenden Dörfern und Städten rekrutiert, während das Zentrum Lodz` weitestgehend von LKS regiert wird. Sehr interessant zu sehen allemal.

Gegen halb 6, also zweieinhalb Stunden vor Anpfiff, dann endlich Lodz-Kaliska erreicht und erleichtert aus dem Zug gestiegen. Fußballfeeling wuchs dann sofort weiter an, da der Ground von LKS direkt neben dem Bahnhof steht und es sich hierbei um ein schönes altes, verranztes Teil handelt. Muss man also auch nochmal besuchen.
Ziel war allerdings heute das Stadion des Stadtrivalen rund 5 km entfernt im Plattenbaustadtteil Widzew und aufgrund der anfangs beschriebenen Zeitverluste wurde am Bahnhof der Rucksack eingeschlossen und sofort per Taxi der Ort des heutigen Spiels angesteuert.
20 Zloty ärmer stand man also wenig später vorm Stadion des LKS, wo zwei Stunden vor Kick Off neben einem starken Copaufgebot auch schon eine Menge LKS Fans anwesend waren. Einmal ums halbe Stadion geschlichen und dann zum Tor, wo man auf ein reserviertes Ticket hoffte. Spiel war natürlich ausverkauft und Kassenhäuschen hatten geschlossen, aber das war mir eh klar. Am Tor aber ein Kerl im Anzug wild gestikulierend bereits einem anderen deutschen Hopper am Erklären, dass es heute keine Tickets gäbe.
Auch das traditionelle, mit Dackelblick gepaarte "I come from germany only for this game!" meinerseits zog da nicht.
Aber nur die Ruhe bewahren. Einem Berny wurde bislang immer (bis auf einmal bei Twente Enschede gegen Ado Den Haag vor ein paar Jahren) Einlass gewährt und so ging es weiter auf Erkundungstour. War ja auch noch Zeit bis zum Anpfiff und zu sehen gab es rund ums Stadion eh ne ganze Menge.
Hinter der Widzew Kurve schon gutes Gedrängel an den Eingängen und einige ganz junge Fans wählten den Kostenloseingang über Stacheldraht und Zaun, ohne dass die Cops sich daran groß störten.
Der Bereich der LKS Leute von den Cops hermetisch abgeriegelt und dort auch immer wieder kleinere Auseinandersetzungen mit selbigen zu beobachten.
Lustig auch das Treiben am Eingang hinter dem VIP/Presse-Bereich. Hier jede Menge Leute ohne Karte, die es immer wieder auf verschiedene Art versuchten am Ordnungsdienst vorbei zu kommen. So zum Beispiel ein ca. 50-jährige Kerl, der sein Glück mit schlecht gefälschter Sanitäterweste versuchte! Wurde natürlich sofort gemerkt, seine Weste zerrissen und er vom Eingangsbereich vertrieben.
Nunja, um es vorweg zu nehmen, ich gelangte schließlich mit leicht dubiosen Mitteln ins Stadion auf die überdachte Tribüne, sodass ich beste Sicht auf beide Fangruppen hatte.
Die letzte verbleibende halbe Stunde wurde noch etwas mit den übrigen anwesenden Hoppern verlabert, ehe das Stadtderby zu Lodz steigen konnte.

Der LKS Anhang (so ca. 2.000 Mann) bot schon allein dadurch ein geniales Bild, dass nahezu alle in weißen Shirts gekleidet waren und die Hintertortribüne gut ausfüllten.
Zum Intro zeigte der Widzewblock den ersten Teil seiner Choreo unter dem Motto "Lodz by night", die die leergefegten Gassen Lodz` bei Nacht symbolisierte. Zweiter Teil bestand dann darin, dass ein Typ (vermutlich Widzew) einem anderen (ich schätz mal LKS) in eben diesen Gassen des nachts aufs Maul haut. Interpretier ich jetzt jedenfalls mal so......

Direkt zum Anpfiff bot LKS nix, präsentierte allerdings wenig später ebenfalls eine geniale Choreografie aus Streifenbahnen, dessen Hintergrund bzw. Aussageabsicht ich zwar nicht verstanden habe, es aber trotzdem schick aussah. Diese Choreo von LKS war dann auch der Startschuss der -lediglich durch einen Pufferblock getrennt stehenden- rund 100 Widzew Hools, mit Bengalos auf die Choreo der Gäste zur werfen. In Deutschland wäre das Geheule jetzt groß gewesen; hier wurden die brennenden Teile ganz einfach zurück zum Absender befördert, woraufhin sie erneut gen Auswärtssektor flogen. Sehr geil, teilweise flog ein Bengalo vier oder fünfmal hin und her.
Zum Spiel kann ich mal gar nix sagen, da mein Blick permanent auf dem Tribünengeschehen lag. War eigentlich immer irgendwo was los. Brennende Schals hier, Durchbruchversuche beider Gruppen dort oder feine optische Aktionen da.
Zweite Halbzeit dann total geile Aktion auf der Gegengeraden, als Widzew Unmengen an Schwenkfahnen zeigte und diese sogar noch durch Pyro ergänzt wurden. Müßig zu erwähnen, dass hiervon wieder einige schnurstracks den Weg gen Gäste fanden, oder?
In Deutschland wäre spätestens jetzt Ende gewesen, die vielen schrägen Vögel in deutschen Fußballforen hätten sich die Finger blutig getippt, hier wurde einfach um die brennenden Flächen auf dem Spielfeld quasi drum herum gespielt. Sooo geil!
Dann war es wieder Zeit für eine Choreo der Gäste und auch die hatte es in sich. Gezeigt wurden weiße Folienzettel (jeweils außen) und rote in der Mitte. Sah das nicht allein schon geil genug aus, so wurden zusätzlich Dutzende Blinkbengalos gezündet, die das Bild vollends abrundeten. Einfach nur ein genialer Anblick. Sofort danach folgte noch eine große Blockfahne mit LKS Wappen, die aber im mittlerweile völlig zugenebelten Ground optisch nicht so zur Geltung kam, wie sie es verdient gehabt hätte.

Dann war es schließlich soweit! Krawall und Remmidemmi stand auf dem Programmzettel.
LKS (viele von den Jungs hatten übrigens die gesamten 90 Minuten über Sturmhauben auf) begann damit, ein Feuer im Block zu legen, was die Cops schließlich dazu veranlasste, den Block zu betreten und das Feuer mit reichlich Löschmittel zu stoppen. Hierbei wurden sie sofort von zahlreichen LKS-Hools angegriffen und vorerst wieder aus dem Block vertrieben.
Wenig später tauchten sie dann jedoch mit großer Verstärkung wieder auf und begannen, den von mir aus rechten Teil des Auswärtsblockes, in dem der überwiegende Teil der LKS Hools stand, zu räumen und alles hinter die Tribüne zu knüppeln.
Der Widzew-Mob sah hier seine Gelegenheit und versuchte durchs aufgebrochene Tor aufs Spielfeld bzw. an die Gäste zu gelangen, was die Cops aber noch rechtzeitig bemerkten und dieses somit verhinderten.
Auch im Bereich neben mir versuchten Heimfans aufs Spielfeld zu gelangen, was die Ordnungshüter jedoch mit Tränengas zu verhindern wussten. Letztendlich kam es auch heute zu keinem direkten Kontakt beider Fanlager, wenngleich sich beide redlich Mühe gaben.
Überall im Stadion knallte es jetzt und die Cops scheuchten den gesamten Widzewanhang einmal quer über die Gegengerade.
Nach Abpfiff beruhigte sich alles, wenn auch recht langsam und das Tränengas zog auf die Tribüne, von der die VIP und alle anderen mit zugezogenem Gesichtern und einem Brennen in Hals und Augen flohen.
War nun auch für mich an der Zeit zu gehen, während der Gästeanhang wohl noch eine etwas längere Blocksperre über sich ergehen lassen musste.
Draußen vorm Stadion dann alles ruhig und während sich die meisten Besucher in die völlig überfüllten Straßenbahnen quetschten, zog ich es vor, den Weg zum Bahnhof zu Fuß zurück zu legen. Hatte die Entfernung dann wohl etwas unterschätzt und so war ich etwas über eine Stunde unterwegs, zudem hatte ich mich kurz verlaufen und dabei vermutlich noch Glück gehabt, keinem LKS oder Widzew-Mob in die Arme gelaufen zu sein und plötzlich zum Hauptdarsteller von "Lodz by night" zu werden, hehe.
Dann war aber irgendwann der Bahnhof erreicht, kurz den Rucksack abgeholt und mittels Taxi ins Hotel.
Hier auch irgendwie total K.O. das finale Bierchen getrunken und mehr als zufrieden eingeschlafen.
Tja, was lässt sich als Fazit ziehen. Lodzer Derby auf jeden Fall sehr, sehr lohneswert auch gerade weil es der Bezeichnung "Derby" zumindest heute in nahezu allen Belangen gerecht wurde.
Müsste man so etwas wie einen "Sieger" ernennen, wäre es sehr schwer, dennoch würde ich den Titel an LKS vergeben, da Widzew zwar gesanglich die Oberhand hatte (eher melodisch und geschlossener; LKS hingegen nur manchmal laut und eher abgehackt), die Gäste aber in Sachen Choreos und Randale die Nase etwas weiter vorne hatten.