Olympique de Marseille – AS Saint-Etienne 0:0
21.08.2011
Stade Velodrome
Ligue 1
Zuschauer: 37.000 (ca. 700)
An diesem Sonntag
konnte in Grenoble erst mal ausgeschlafen werden, ehe es wieder für ca. drei
Stunden auf die Autobahn Richtung Marseille ging. Heute also endlich Olympique
live erleben. Was hatte ich nicht damals als junger Teenager die Match Live und
Erlebnis Fußball-Hefte durchgeblättert und war immer mit offenem Mund an den
Fotos aus dem Stade Velodrome hängen geblieben. Fotos, auf denen gigantische
Choreografien, die sich über die kompletten Tribünen strecken, zu sehen waren.
Dazu Ultras in den geilen orangen Bomberjacken, Doppelhalter, Megafone,
bengalische Lichter und so weiter. Dazu muss gesagt werden, dass damals –lass
es so Anfang der 90er gewesen sein – das Internet noch nicht existent war bzw. wie
auch die Ultrakultur in Deutschland noch in den absoluten Kinderschuhen steckte
und man sich wie ein Schneekönig freute, wenn einem mal ein Fanzine o.ä. mit
Fotos aus bis dato fremden Kurven in die Finger kam. Das hatte noch etwas
Feierlichen und Großartiges. Ein Gefühl, das heute leider mehr und mehr
verloren gegangen ist. Heute, da wenige Stunden nach Abpfiff nahezu von jedem
relevanten Kick auf der Welt Fotos im Überfluss im Netz zu finden sind…
Aber es nützt nichts,
sentimental in Erinnerungen zu schwelgen. Diese Zeiten sind unwiederbringlich
vorbei, so geil sie auch waren.
Wir leben im Jahre 2011
und werden gerade kurz vor Marseille zum x-ten Male an irgend ner Mautstation
abgezockt. Müßig zu erwähnen, dass man auch in Slowenien, in Österreich und der
Schweiz Geld für die Benutzung der Autobahn, irgendwelcher Tunnel oder Brücken
bezahlen musste. In dem Zusammenhang frage ich mich, warum nachwievor jeder
Nicht-Deutsche (abgesehen von Lkws) bei uns für lau umherfahren kann, während
fast alle anderen Länder kräftig zu Kasse bitten?
Ist das noch der
„Zweiter Weltkrieg-Komplex“? Anstatt die eigenen Landsleute mehr und mehr zu
belasten, sollte man es den Nachbarn nachmachen und auch hier etwas für die
Haushaltskasse tun.
Aber zurück zum
eigentlich Wichtigen. Marseille wurde am frühen Nachmittag bei chilligen 35
Grad entspannt erreicht. Direkt das Hotel angesteuert, das eher die Bezeichnung
Bruchbude verdient hätte, aber wir sind grundsätzlich anspruchslos und dafür
liegt es nur 200 Meter vom Stade Velodrome entfernt. Wollen hier ja schließlich
auch keinen Urlaub machen. Obwohl; das Mittelmehr ist nur wenige Kilometer
entfernt, man muss nur immer die Hauptstraße entlang laufen, die südlich vom
Stadion wegführt und plötzlich steht man am Stadtstrand. Dieser sogar recht
lang und breit, der geneigte Badefreund kann gar zwischen Kies, Sand und Gras
wählen. Wir wählten eine Mischung aus 1 und 2 und tauchten wenig später ins
erfrischende Mittelmeer ein. Herrlich! Hier also gute zwei Stunden das Leben
genossen und anschließend wieder zurück ins Hotel. Dort noch ein bisschen
entspannt und ein paar Bier zu sich genommen. Dies aber auch irgendwann sein
lassen, man wollte schließlich halbwegs klar die Eindrücke des Abends
aufnehmen. Also so zwei Stunden vor Anpfiff (21:00 Uhr) mal wieder zum Stadion
rüber. Auf dem Weg hierhin schon gefühlte 50 Mal angesprochen worden, ob man
ein Karte brauche. Wir hatten allerdings welche hinterlegt, also kein Bedarf.
Schwarzmarkt aber auf
jeden Fall sehr aktiv, hauptsächlich von afrikanischen Einwanderern betrieben
(einige Typen trugen Tunesien-Trikots usw.). Nachdem wir unsere Tickets in
Empfang genommen hatten, wurde noch vorm Stadion etwas herumgeschlendert und
die insgesamt sehr entspannte Atmosphäre aufgenommen. Zur Stärkung noch ein Baguette und ein
Döschen Bier an einem der zahlreichen Fressbuden gekauft, wobei die Bestellung
schon eine unerwartete Hürde bot. Die Verkäuferin war übelst am Schielen,
sodass sowohl ich, als auch die Typen links und rechts von mir gleichzeitig die
Bestellung aufgaben und keiner so recht wusste, wer denn jetzt gemeint sei.
Kult!
Anschließend rein ins
Stadion und was soll ich sagen? Ziemlich geiles Teil, vor allem die beiden
Hintertortribünen. Das Stade Velodrome befindet sich im Hinblick auf die EM
2016 im Umbau; in mehreren Etappen wird aus dem zur dreiviertel unüberdachten
Ground ein modernes Stadion mit futuristischer Dachkonstruktion, sodass es Jeff
Blatter und sein korruptes Gefolge in fünf Jahren auch schön trocken haben.
In Folge dieser
Umbauarbeiten musste bislang die Gegentribüne dran glauben und verlor ein Stück
ihres Oberranges, zudem war ein Teil dieser Tribüne für Zuschauer gesperrt.
Stadien im Umbau sind immer blöd, aber das bisschen konnte man verschmerzen. Die
Augen des Betrachters lagen eh mehr auf den beiden Hintertorbereichen, denn
dort sind die die verschiedenen, teils legendären Fan-/Ultragruppen von OM
beheimatet. Zu unserer linken (also auf der Nordtribüne) hätten wir einmal im
Oberrang „Fanatics“, Dodger`s 92“, „Torcida Marseille“ und „Trop Puissant“ sowie
„Yankees 87“ im Unterrang. Auf der gegenüberliegenden Südtribüne finden sich im
Oberrang „Independance“, „South Winners“ und „Kaotic Group“ sowie das legendäre
„Commondo Ultra Marseille 84“ im Unterrang.
Auf der Süd gab es zu
Spielbeginn im Unterrang eine Choreo aus Folienbahnen mit der schlichten
Botschaft „Ultras Marseille“, welche im Oberrang durch eine farbenfrohe
Zellelchoreo ergänzt wurde. Anschließend wurde mittels schwarzer Folienbahnen
einem verstorbenen Mitglied aus der Kurve gedacht.
Auch auf der Nord blieb
man nicht untätig und zauberte den Yankee Nord-Marseille-Schriftzug mittels
Papptafeln hervor. Anschließend gab es Support, der zugegeben etwas
gewöhnungsbedürftig und vor allem typisch französisch ist. Anstatt gemeinsam
aufzutreten, zieht nahezu jede Gruppe konsequent und unbeirrt ihr eigenes Ding
durch, sodass böse Zungen fast schon von Lärm als von geilen Support sprechen
würden. Lediglich in den Momenten als Nord und Süd sich ein lautes „Aux armes“
hin und herrufen, blitzt die Power dieser Geschlossenheit durch.
Soll nicht heißen, dass
ich den Support als schlecht bezeichne, aber gewöhnungsbedürftig in jedem Fall.
Zumindest hat es den Effekt, dass sicherlich jeder Gästesupport ungehört im
Abendhimmel der Hafenstadt verpufft, so laut ist es im Velodrome. Dabei war ja
heute nicht irgendwer zu Gast, sondern mit „Magic Fans“ und „Green Angels“ zumindest
für mich die Creme de la Creme der französischen Ultraszene.
Sicherlich ein guter
Auftritt mit viel Bewegung im Block, schönen Doppelhaltern, aber gegen den
Support von sechs bis acht Fangruppen kamen auch die rund 700 Jungs und Mädels
nicht an.
Sportlich gesehen ist
der aktuelle Meister um Trainer Didier Dechamps noch nicht wie erwartet in die
Saison gestartet, denn vor diesem dritten Spieltag hat man lediglich zwei
Punkte auf dem Konto, während es beim Gästeteam gleich derer sechs sind. Auch
heute sollte OM keinen Dreier verbuchen können, denn St. Etienne rührte
feinsten Abwehrbeton an, gegen den die Hausherren kein adäquates Mittel fanden
und beide Clubs sich daher in einer eher niveauarmen Partie 0:0 trennten.
Schade, hätte gern mal einen Torpogo a la OM gesehen. Aber man kann schließlich
nicht alles haben und war auch so nach Abpfiff recht zufrieden.
Irgendwann also zurück aufs Zimmer, bisschen Fernseh gucken und bald schlafen, schließlich standen morgen über 1.300 km Heimweg an. Dieser klappte am nächsten Tag auch ganz gut, bis kurz vor Freiburg der Motor an Jans Golf komische Mätzchen machte und man nur mit gefühlten 40 PS und mit maximal 120 km/h voran kam. Was folgte war das übliche Prozedere. Pannendienst anrufen, abschleppen lassen und dumme Gesichter machen. Hiobsbotschaft war, dass man erst am Folgetag weiterfahren konnte, wenn der Fehler behoben sei. Somit verlängerte sich der „Kurzurlaub“ unfreiwillig um einen Tag und man schlug seine Zelte im schönen Heitersheim vor den Toren Freiburgs auf. Naja, gibt schlimmeres. Am nächsten Mittag war der Wagen dann wieder fertig und die letzten 600 km bis nach Meppen wurden herunter gespult.
Gesamte gefahrene Kilometer übrigens: über 4.300.