Club Africain – CA Bizertin 1:0

28.11.2024

Stade Olympique de Rades

CLP-1

Zuschauer: 27.000 (ca. 30 Gäste)

 

 

 

Es ist irgendwann Mitte November 2024. Auf der Suche nach einem Ziel, welches mir zwischen Weihnachten und Silvester etwas Fußball und neue Eindrücke verschaffen sollte, fiel mein Blick neben den klassischen Destinationen wie UK oder Italien dieses Mal auf Tunesien, wo für das Wochenende des 28./29. Dezember das Stadtderby zwischen Esperance de Tunis und Club Africain angesetzt war. Da schlägt natürlich das Herz eines jeden reiselustigen Fußballvagabunden höher und so wurde das Ganze mal im Auge behalten.

Ein paar Tage vergingen und obwohl man sich darüber bewusst war, dass afrikanische Spieltags-Terminierungen in etwa so viel Planungssicherheit bieten wie eine Skitour durchs Emsland im Sommer, wurde man mehr und mehr hibbelig.

Irgendwann musste man sich schließlich entscheiden. Noch länger warten oder den Flug zu einem halbwegs akzeptablen (hust, hust) Preis buchen. Da ich bei sowas ohnehin immer alles andere als cool und geduldig bleiben kann, wurde der Flug Frankfurt-Tunis-Frankfurt, offeriert von der tunesischen Airline Nouvelair, also gebucht und das anvisierte Derby drei Tage später verschoben. LoL!

Genau genommen wurde einfach auf den 21./22. Dezember noch ein Spieltag gelegt, wo vorher gar keiner war, und dorthin dann auch das Derby. This is Africa!

Hätte ich vor ein paar Jahren noch in den Tisch gebissen, so nahm ich dies diesmal sehr gelassen, da ich unterschwellig auch schon mit so etwas gerechnet hatte und nun sogar etwas mehr Entspannung herrschte, da ich keinen großartigen Aufriss zwecks völlig ungeklärter Ticketfrage machen musste.

Positiv ist weiterhin, dass die tunesische Hauptstadt Tunis zwei große Clubs beheimatet und mit Stade Tunisien noch einen dritten Club mit kleiner Fanszene. Ein weiterer Erstligist (JS EL Omrane) oder ein, zwei Zweitligisten mal außen vor gelassen. Der Länderpunkt sollte somit so oder so klappen.

So ging es also für mich an diesem 27. Dezember in aller Frühe von Frankfurt in etwa 2,5 Stunden zum Tunis Carthage Airport, wo einen strömender Regen begrüßte. Etwas misslich, denn ich hatte nach etwa vier Wochen depressiv machendem grau in grau in Deutschland dringend etwas Sonne nötig.

Um es aber nicht dramatischer zu machen als es eigentlich ist…. Es regnete nur an diesem Freitag, die restlichen Tage hatte es dann tagsüber angenehme 15 Grad mit Sonne. Herrlich!

Die Passkontrolle am Airport verlief einigermaßen zügig und mit einem Bolt (diese fahren offenbar nur von Departures, also einmal vom Erdgeschoss (unten) zu Arrivals (oben) gings weiter.

Der Fahrer brachte mich in einem uralten Fahrzeug ohne Stoßdämpfer den kurzen Weg ins Zentrum, wo dann auch mein Hotel für die nächsten drei Nächte stand. Kurz Rucksack aufs Bett und direkt weiter zur „Geschäftsstelle“ von Club Africain, wo mein Ticket hinterlegt war und auf Abholung wartete.

Der Verein bietet als einziger im Land so etwas wie einen Online-Verkauf, der zwar erst nach einigen Anläufen, dann aber zufriedenstellend verlief. Print@home oder derlei Ausgeburten der modernen Fußballhölle gibt es jedoch nicht, stattdessen muss man sich das Ticket auf der Geschäftsstelle abholen, was natürlich auch ohne vorigen Onlinekauf gegangen wäre.

Alles also etwas überdenkenswürdig.  Mir aber egal, denn ich hatte mein Ticket und die Wolken mittlerweile aufgehört zu regnen.

Ich kehrte zwecks Nahrungsaufnahme (Pizza; halblecker) noch in irgend nem Schuppen ein und zog mich dann ins Hotel zurück, wo ich tatsächlich 11 Stunden am Stück pennte. Eine leichte Erkältung und die kurze Nacht forderten irgendwie ihren Tribut. Ich werde alt!

Am nächsten Morgen begrüßte mich die Stadt wie gesagt mit Sonne und da das Spiel erst um 16:30 Uhr angepfiffen werden sollte, blieb ausgiebig Zeit für etwas Streunerei durch den Stadtkern. Ich ließ mich einfach treiben, wobei Tunis offenbar so viele Sehenswürdigkeiten wie Bottrop-Boy bereit hält.

Stattdessen ist das Zentrum nordafrika-like wuselig angenehm untouristisch und erliegt regelmäßig am Verkehrsinfarkt, verursacht durch alle möglichen Fortbewegungsmittel wie Autos, Mopeds, Kutschen und menschlichen Füßen. Zudem liegt recht viel Müll herum, eine Müllabfuhr gibt es offenbar in der Art, dass einzelne Typen im Auftrag der Stadt mit einem Besen und Kehrblech sporadisch etwas „reinigen“. Sisyphos ihm seine Arbeit!

Irgendwann machte ich mich erneut mit einem Bolt auf den Weg zum Stadion. Club Africain und Esperance spielen ihre Spiele im Nationalstadion im Vorort (?) Rades, was etwa 15 km außerhalb des Stadtkerns liegt. Die letzten Meter zum Ground gestalten sich unter dem Motto „Safety first“, so muss man irgendwelchen Typen drei Mal sein Ticket zeigen, ehe man überhaupt vorm eigentlichen Einlass steht.

Hier wird man dann zwei Mal halbgar abgetastet und am Ende fotografiert dann noch irgendein Bulle zwei Mal den Ausweis. Was das soll? Keine Ahnung, ich verbuche es als reines Machtgehabe, wobei das Ganze nicht unfreundlich ablief und oftmals ein „Welcome to Tunis“ nachgeschoben wurde.

Also endlich mal drin in der riesigen Schüssel. Das Stade Hammadi Agrebi (benannt nach einem 2020 verstorbenen Nationalspieler) fasst 60.000 Plätze, irgendwelche Sicherheitsaspekte führen aber dazu, dass bei Fußballspielen die Maximalkapazität bei 50%, sprich 30.000 liegt. Auch das Derby eine Woche zuvor unterlag natürlich diesen Restriktionen, war am Ende auch gar nicht soooo gut, da der Anhang von Esperance aufgrund irgendeines Gefickes mit den Cops nach etwa 30 Minuten in den Boykott ging. Gerüchten zufolge wurden zwei Choreos kurzfristig verboten und zwei Kisten Pyrotechnik einkassiert.

Während der Anhang von Esperance traditionell in der Curva Sud beheimatet ist, stehen die Anhänger der Rotweißen in der Curva Nord, welche sich ein paar Minuten vor Kick-Off mehr und mehr füllt. Bemerkenswert ist dabei, dass die Anhänger der verschiedenen Gruppen, die sich namentlich sehr an denen aus Marseille orientieren (Winners, Dodgers…) nach und nach aus den Mundlöchern auf die Traversen rennen, was sehr geil aussieht. Während vor dem Zaun lediglich ein „Freiheit für Ultras“-Banner in arabischer Schrift prangt, gibt es ca. 30 Minuten starken Support mit in Deutschland völlig unbekannten Melodien. Ähnlich wie zum Beispiel die Gruppen von Raja Casablanca „vermarkten“ auch die großen Szenen Tunesiens ihr Liedgut, so finden sich also bei Spotify unter der Suche „Curva Nord Tunis“ einige ohrwurmfähige Tracks. Gerne mal reinhören.

Was vielversprechend anfing, endete leider nach etwa 30 Minuten etwas ernüchternd, als die Ultras etwas Pyro auf die Cops im Innenraum warfen, um anschließend die Nordkurve zu räumen, während zeitgleich ein riesiges Banner vom Oberrang gelassen wurde. „We unite, we resist, we win“ lautet frei übersetzt die Botschaft und richtet sich wohl trotz aller Rivalität aus Solidarität an den Anhang von Esperance, der wie erwähnt mit starken Repressionen zu kämpfen hat. Zudem ist geplant, zeitnah eine Art FanID einzuführen, was der Fankultur natürlich weiteren Schaden zufügen würde.

So wurde der Kick dann leider mit einer leeren Nordkurve zu Ende gespielt, wobei es stimmungstechnisch nicht wirklich schlecht war, da auch vom gemäßigteren Teil des Publikums, sprich von der Geraden, Gesänge angestimmt wurden und immer mal eine Fackel das Licht der Welt erblickte. Etwas ungewohnt und leicht sinnfrei wurden dabei auch immer mal wieder volle 1,5 Liter PET-Flaschen aus den oberen Bereichen geworfen, sodass man mit ganz viel Pech so ein Ding an den Hinterkopf bekam. Auch ein Typ im Rollstuhl auf der Tartanbahn hatte ein, zwei Mal richtiges Glück, nicht getroffen zu werden. Komische Sitten. So ging das qualitativ sehr mäßige Spiel mit 1:0 für die Gastgeber zu Ende, wobei das einzige Tor des Spiels dann auch per Foulelfmeter erzielt wurde.

Dass es etwas schwierig sein wird, nach dem Spiel wieder ins Zentrum Tunis‘ zu kommen, war mir vorher aus diversen Berichten bewusst und so stand man mitten auf einem riesigen Kreisverkehr vorm Stadion, beobachtete den wuseligen Abreiseverkehr und versuchte mit einer weiteren 4er-Gruppe Deutscher ein Bolt bzw. Taxi zu bekommen.

Ein Vater mit seinem vielleicht 14-jährige Sohn wurde auf mich aufmerksam und bot an, mich mit ins Zentrum zu nehmen. Genau genommen bot mir dies sein Sohn an, der der englischen Sprache sehr gut mächtig war.

Wenig später stand dann auch schon das weibliche Familienoberhaupt mit einem Kfz parat, wobei ein weiteren weibliches Familienmitglied das Fahrzeug lenkte und ich mich mit zwei Herren auf die Rückbank quetschte.

Die Verwunderung/Freunde über den spontanen Beifahrer aus Deutschland war groß und so wurde ich spätestens hier Zeuge der wahnsinnig großen Gastfreundschaft, mit der man Reisenden hier nur allzu oft begegnet.

Mir wurde eine leckere Fleischtasche inklusive Softdrinks geschenkt, sodass mein Hunger gestillt wurde.

Zur Krönung des Ganzen wurde mir sogar angeboten, die Nacht in ihren Haus rund eine Stunde nördlich von Tunis zu verbringen, wobei man mich am nächsten Morgen wieder nach Tunis fahren würde. Keine Ahnung, ob man mich hier mit der Tochter des Hauses verheiraten wollte, aber das war schon krass überraschend.

Beinahe sprachlos über solch Großzügigkeit lehnte ich zwar das Übernachtungsangebot ab, bedankte mich aber dennoch tausend Mal nachdem man mich natürlich direkt zu meinen Hotel fuhr, obwohl ich mehrmals sagte, dass in der Nähe völlig ok sei und ich problemlos noch etwas laufen könne. Völlig irre und in Deutschland wohl so niemals denkbar.

Ich chillte somit noch etwas auf dem Hotelbett, sortierte die vielen Eindrücke im Kopf und erklärte den Tag irgendwann für beendet.

Freiheit für Ultras!

 

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