28.07.2022
Stadiumi Fadil Vokrri
Conference-League, 2. Runde, Rückspiel
Der Kosovo war der nächster weiße Fleck auf der Landkarte,
der durch einen Besuch farbig gemacht werden wollte.
Die Conference-League ist die einzig sinnvolle Erfindung der
UEFA überhaupt und so ziemlich der Traum aller Fußballreisender, denn dieser
Wettbewerb lässt Paarungen entstehen, die vor ein paar Jahren noch völlig
undenkbar gewesen wären und das alles so völlig unter dem Radar des versauten
Kommerzfußballs. Selbst das Finale der letzten Saison zwischen Rotterdam und AS
Roma in Tirana war ja der feuchte Traum eines jeden Krawalltouristen, der
Presse aber irgendwie nur eine kleine Spalte im Ressort „Sport“ wert. Gut so!
Meine Reiseplanung erfolgte wieder einmal vor einer fixen
Ansetzung der Paarungen. Bei drei kosovarischen Vertretern in der Quali zur
Champions-League oder eben der Conference-League standen die Chancen aber gut,
dass zumindest ein Spiel im anvisierten Zeitraum stattfinden sollte.
Gebucht wurde also die Flugstrecke
Dortmund-Tirana-Pristina-Dortmund. So weit, so gut, allerdings stornierte
Wizzair zwei Wochen vorher den Rückflug. Zwar gibt’s ne Gutschrift plus 20% des
Flugpreises (oder 100% bei Verzicht auf eine Gutschrift), aber nichtsdestotrotz
war das natürlich alles Mist.
Nun musste also gehandelt werden, die wenigen Alternativflüge
waren alle zu teuer oder einfach nicht existent und so wurde es nun wild, denn
die Airline GP Aviation (neuer Airlinepunkt; ach nee, ich zähle sowas ja gar
nicht, ha ha ha) bot noch einen Rückflug von Pristina nach Nürnberg an, Abflug
mitten in der Nacht um 4:30 Uhr.
Ja, Nürnberg. Das ist so gar nicht meine Richtung, aber was
solls, irgendwie wird einen die Bahn schon nach Hause bringen. Notfalls mit dem
9-Euro-Ticket.
Endstation Geisteskrankheit!
Mein Problem ist ja grundsätzlich, dass ich gerne voller
Euphorie und in der festen Meinung Geld zu sparen, irgendeine Scheiße buche und
dann irgendwann später merke, dass das alles so irgendwie gar nicht durchdacht
war. Günstig zumeist dann auch nicht mehr 😊
Naja, erstmal los und dann weitersehen. Los ging‘s konkret am
Dienstag via Airport Dortmund nach Tirana und das mit gut 80 Minuten
Verspätung, sodass man schon weit nach Mitternacht mit einem dicken Hals in der
albanischen Hauptstadt aufschlug, sich die wenigen Minuten zum Airporthotel
noch abmühte und in einen unruhigen und wenig erholsamen Schlaf fiel. Insgeheim
hatte ich spekuliert, am Mittwoch noch ein zweites Spiel in Albanien oder im
Kosovo zu sehen, aber da war der Spielplan mir dann leider mal nicht
wohlgesonnen.
Nächsten Morgen dann weiter mit dem Bus die mit vier Stunden
Reisedauer veranschlagten und tatsächlich 4:40 Stunden in Anspruch genommene
Reise nach Pristina bewältigt. 15 Euro werden hier fairerweise aufgerufen und
der Bus war sogar halbwegs modern. Auffällig dann hier auch wieder, dass sich
recht viele in Deutschland oder der Schweiz lebende Kosovaren mit dem Auto auf
den Weg in den Heimaturlaub machen. Sogar ein ganz paar Schweden wurden
gesehen. Das ist ja mal ein feiner Ritt, meine Damen und Herren.
An der Grenze ging’s sehr flott und im Gegensatz zu meiner
letzte Reise vor ein paar Jahren wurden auch keine Mitreisenden per
Handschellen aus dem Bus geführt.
Am späten Nachmittag setze ich dann also erstmal meine Füße
auf den staubigen Boden der kosovarischen Hauptstadt, in welche man sich
vielleicht nicht unbedingt auf den ersten und vielleicht auch nicht auf den
zweiten Blick verliebt.
37 Grad, gefühlt zu viele Autos auf den Straßen, ein wildes
Gehupe und insgesamt ein ziemliches Gewusel. Richtige Sehenswürdigkeiten gibt
es irgendwie auch nicht.
Neben teilweise ganz schicker Streetart gibt es das „Newborn
Monument“, welches am Tag der einseitig vom Kosovo erklärten Unabhängigkeit von
Serbien am 17.2.2008 enthüllt wurde. Eine Bill Clinton Statue samt gleichnamigem
Boulevard oder eine Mutter Teresa Kathedrale, das wars dann aber eigentlich
schon.
Dem guten Oral-Office-Bill wird hier die Ehre erwiesen, da er
als 42. Präsident der USA den Kosovo maßgeblich (zusammen mit der Regierung um
Gerhard Schröder) auf dem Weg in die Unabhängigkeit unterstützte, wobei diese
Unabhängigkeit allerdings bis heute nur von 115 der 193 Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen anerkannt ist. Zumindest FIFA und UEFA sehen den Kosovo seit
2016 als vollwertigen Mitgliedsstaat. Gut so!
Ähnlich wie die Republik ist die Stadt sehr jung, über 50%
aller Einwohner sind unter 25 Jahre und ständig in Bewegung bzw. im Aufbruch,
was nicht zuletzt an den am Stadtrand neu entstehenden zahlreichen Hochhäusern
zu erkennen ist.
An diesem Abend passiert nach dem Einchecken im Central City
Hostel nicht mehr viel, ich sitze in einem der zahlreichen Cafes am „Bulevardi
Nene Tereza“ und beobachte bei kühlen Peja-Pivo die sich in Schale geworfene
Pristinaer-Jugend beim Flanieren, Sehen und Gesehenwerden.
Die Frauen können zahlreich der Kategorie „Geschoss“
zugeordnet werden, auch wenn es mir hier
und da schon etwas „too much“ war. Aufgespritzte Lippen hier, etwas Silikon da
usw. usw. Jedenfalls legt man hohen Wert aufs Aussehen.
Die Herren der Schöpfung arbeiten dann gerne mit übergroßen
Sonnenbrillen, dicken Autos und Bizepsen. Die Gastfreundschaft ist dennoch
groß, an vielen Stellen kommt man mit der deutschen Sprache weiter und oft sind die Einwohner neugierig und möchten
wissen, wie man „den Kosovo“ so findet.
Nächster Tag dann endlich Fußball, allerdings habe ich noch
eine ganze Weile an Zeit totzuschlagen, bis dann um 20 Uhr der Ball rollen
soll. Da ich Kulturbanause keine Ahnung habe, was ich so recht anstellen soll,
komme ich auf die Idee, mich gegen einen kleinen Eintrittsobolus in die
Poolanlage eines Hotels einzumieten, wo ich knapp 6 Stunden auf meiner
Sonnenliege rumassel, mal ein paar Bahnen schwimme, ein paar Drinks konsumiere
und insgesamt die Zeit ganz gut und entspannt rumkriege.
Die Stadion-Infrastruktur im Kosovo ist nun nicht die
allerbeste, zumindest in den Augen der UEFA nicht, denn außer dem Fadil Vokrri-Ground
hier in Pristina genügend keiner den Ansprüchen des internationalen Fußballs.
So muss also auch der KF Drita seine internationalen Auftritte hier, statt im
etwa 50 Kilometer Gjilan (wo man eigentlich herkommt) austragen. Das Hinspiel
vor einer Woche in Antwerpen endete 0:0, was also für das heutige Aufeinandertreffen
Spannung bedeutete und ich war insgesamt der Meinung, dass das Spiel hier ganz
ok war, um den Länderpunkt damit zu machen. Eintrittskarten gab es heute für
faire 2 Euro in der Kurve, für 3 Euro auf der unüberdachten Geraden, für 7 Euro
auf der Haupttribüne und für 20 Euro bekam man den temporären VIP-Status.
Verkauft wurden die Billets dann irgendwie untypisch von nem
Mokel hinterm Zaun aus einer Plastiktüte heraus. Offene Kassenhäuschen hab ich
nicht gesehen.
Tatsächlich ist im Kosovo der Euro offizielles Zahlungsmittel,
denn 1999 schied man aus dem Währungsraum des serbischen Dinars aus, sodass die
Deutsche Mark bis Einführung des Euro als Alternative galt. Da man zwar
faktisch, aber nicht „offiziell“ Mitgliedsland der Eurozone ist, darf man allerdings
keine Münzen mit länderspezifischem Design prägen.
Obwohl der Kosovo durchaus einige Ultraszenen beheimatet, so
zum Beispiel Plisat (Pristina), Torcida Trepca (Mitrovica) oder Ultras
Skifterat (Gjilani), sind echte Kracher rar gesät. Am ehesten taugt vermutlich
das Derby in Gjilan zwischen eben dem FC Drita und dem KF Gjilani.
Die Ultragruppe vom KF Drita nennt sich Intelektualet und
existiert bereits seit 1998. Ob man besonders intellektuell sein muss, um
Gruppenmitglied zu werden, konnte nicht recherchiert werden.
Der
heutige Auftritt gefiel mir heute jedenfalls
außerordentlich gut. Für die überschaubare
Größe des aktiven Kerns schienen mir
drei Vorsänger zwar etwas übertrieben, aber das Gesamtpaket
konnte durchaus
gefallen. Flotte Trommelrhythmen, viele Hüpf- und Klatschaktionen,
melodiöse
Gesänge, ein kleines Intro sowie ein Spruchband, welches sich
über die niederländische/flämische Eigenschaft
Holzschuhe zu tragen, lustig macht, lassen beim Schreiber dieses Textes
beide Daumen nach oben zeigen. Man
merkt, dass hier eine ganz gute Portion authentische Leidenschaft
gelebt wurde und
keine aufgesetzte Pseudo-Liebe wie an manch anderen Orten oder in
anderen
Szenen.
Die Ehre hier in dem vergleichsweise jungen europäischen
Wettbewerb spielen zu dürfen, war offenbar allen bewusst und man gab
dementsprechend supporttechnisch Gas!
Das völlige Gegenteil hingegen offenbarte sich auf der
gegenüberliegender Hintertorseite, wo außer den paar anwesenden Heimfans gähnende
Leere herrschte.
Damit geht weit vor Saisonende und völlig außer Konkurrenz
der „Goldene Spork“ in der Kategorie Fanszenen völlig verdient an die Fanszene
von Royal Antwerpen.
Ich weiß nicht, ob ich diese Meinung völlig exklusiv habe,
aber mir persönlich wird es wohl bis ans Lebensende verwehrt sein, meinen
geliebten SVM international zu begleiten (und damit meine ich keine sinnfreien
Testspiele in Holland).
Ey, stell dir mal vor, du darfst mit deinem Verein und mit
deinen Freunden zu nem Auswärtstrip in den Kosovo, da setz ich doch alle Hebel
in Bewegung dabei sein zu dürfen, zumal ich nun Royal Antwerpen auch jetzt
nicht als alljährlichen Stammgast im internationalen Wettbewerb sehe.
Nullkommanull Lads und Lasses hatten hingegen den Weg gen
Kosovo gefunden, von ein paar Offiziellen mal abgesehen. Tut mir leid, aber da
verliert man bei mir als Fanszene jegliche Art von Sympathie. Wie schlecht ist
das denn bitteschön? Sowas Schlechtes hab ich ja noch nie gesehen! Geht bitte
scheißen!
Ärgerlicherweise konnte man sich dann auch noch mit 2:0
durchsetzen, wenngleich Drita einen tollen Kampf bot und einige Male zu guten
Torchancen kam.
Schade!
Ich holte jedenfalls nach Abpfiff meine restlichen Sachen aus
dem nahgelegen Hostel und machte mich via Taxi auf den Weg zum Flughafen. 15
Euro wurden hierfür aufgerufen und der Driver wusste, wo das Gaspedal steckt.
„Kosovo all people crazy“, so seine Aussage.
Am kleinen Airport galt es nun noch eine ganze Weile
abzugammeln, freies WiFi vom Burger King und bequeme Loungemöbel machten aber
alles erträglich. Die Taktik gar nicht erst zu schlafen und weitgehend auf Bier
zu verzichten, erwies sich als richtig und so war man auch bei pünktlicher
Abflugzeit noch einigermaßen fit.
6:20 Uhr Landung in Nürnberg, 7:35 Abfahrt des ICE gen
Heimat.
War irgendjemand schonmal planmäßig am Ziel, wenn die Bahn
mit mehr als einem Umstieg arbeitet? Also ich noch nie! Wirklich noch nie!
Und so zog sich das letzte Stück dann auch ziemlich.
Anschlusszug in Köln verpasst, irgendeine Streckensperrung bei Solingen
inklusive Zugausfällen strapazierten mein angespanntes Gemüt zusätzlich und am
Ende war ich mit zwei Stunden Verspätung irgendwann gegen frühen Abend ziemlich
heruntergerockt in Meppen.
Hoppen muss weh tun!