Anorthosis Famagusta FC –
Apollon Limassol 0:1
10.10.2022
Stadio Antonis Papadopoulus
First Division
Zuschauer: 9.000 (ca. 800 Gäste)
Letzter Tag des sehr gelungenen und erholsamen Zypern-Trips,
am Abend gibt’s nochmal Fußball. Und was für welchen!
Anorthosis Famagusta (2008 zum Beispiel noch Gruppengegner
von Werder Bremen in der Championsleague) trägt seit geraumer Zeit seine Heimspiele in
Larnaka und somit im Exil aus. Der Grund dafür ist, der dass der Verein nach
der Invasion der türkischen Armee im Jahre 1974 in den griechischen Teil ziehen
musste und seitdem im schicken Stadio Antonis Papadopoulus seine Heimat auf
(lange) Zeit gefunden hat. Die Geschichte der Stadt Famagusta ist dabei nicht
minder spektakulär, denn Famagusta bzw. in erster Linie dessen Vorort Varosha
war bis eben 1974 ein florierender Badeort, ehe knapp 40.000 Menschen vor den
türkischen Truppen fliehen mussten und in dessen Folge wiederum zahlreiche
Gebäude verfielen oder neu im Bau befindliche einfach nicht weiter gebaut
wurden.
Die Lage hat sich seitdem nicht wesentlich geändert und so
trägt die Stadt auch heute noch den Titel Ghost Town oder das Graffiti
„Famagusta Ghetto“ erinnert an vielen Stellen rund ums Stadion an die
Vertreibung vor knapp 50 Jahren.
Apropos Gegend ums Stadion. Diese ist nämlich eine herrlich
leicht verranzte und mit allerlei Anorthosis-Schmierereien zugemalte.
Ach, was schreib ich….. irgendwie passte heute das
Komplettpaket mal so richtig derbe. Bereits wenige hundert Meter vorm Stadion steht
an einer Ampel (wir waren im Auto unterwegs, da es nach Abpfiff direkt zurück
zum Airport Paphos gehen sollte) ein Wasserwerfer hinter uns und meine liebe
Frau fragt zu Recht zaghaft „Ähh, was wird das denn heute?“. Eine konkrete
Antwort vermochte ich ihr zu dieser Zeit noch nicht zu geben…
Am Stadion knapp 2 Stunden vor Anpfiff ein amtlicher Aufmarsch
an Bullen, welche in voller Kampfmontur ganze Straßenzüge absperren, dazu beobachtet
ein Hubschrauber die Szenerie aus der Luft.
Ey, ich fand im Vorfeld nur den Klang der Partie und den
Ground geil, hatte aber keine Ahnung, dass hier heute offensichtlich
Großkampftag ist.
Schnell mal im Fanshop unter der Haupttribüne zwei Karten
unter Vorlage der Fancard zu je 12 Euro gekauft. Ein weiterer Deutscher scheiterte
offenbar beim Versuch Karten zu kaufen, da er nicht im Besitz der Fancard war
und man auch aus irgendwelchen Gründen nicht gewillt bzw. imstande war, ihm
eine vor Ort und Stelle auszustellen. Also Obacht, liebe Nachahmer.
Etwas ärgerlich nur, dass die Dame vom Ticketverkauf mich
offenbar nicht gänzlich verstand oder nicht verstehen wolle. Haupttribüne war
unser Wunschplatz und das habe ich ihr -
so denke ich doch - deutlich zu verstehen gegeben.
Was halte ich am Ende in den Händen? Hintertortribüne! Alte,
dein Ernst?
Hab ich natürlich erst gemerkt als es zu spät war und wir
nicht mehr so einfach durchs elektronische Drehkreuz wieder rausmarschieren
konnten. Wenngleich die Blockbezeichnungen etwas verwirrend waren, so hätte ich
ja spätestens beim doch recht günstigen Ticketpreis skeptisch werden müssen. Aber
dennoch….I
Ist die dumm, oder was? Oder lag es tatsächlich doch daran,
dass die Haupttribüne wie später zweifelsohne zu erkennen, ausverkauft war?
Ich werd’s wohl nie erfahren, auf jeden Fall aus
fotografischer Perspektive nicht soooo cool, wenngleich ich mich dann später
kurz vor Abpfiff noch auf die Haupttribüne asseln konnte. Also mal an den Rand gestellt und Fresse
halten, wenngleich es hier ganz entspannt ist und auch zahlreiche Normalos um
uns herum weilen.
Nichtsdestotrotz ist die Szenerie hier durchaus speziell. Die
Ultras von Anorthosis nennen sich Maxthec, was frei übersetzt so etwas
wie „Kämpfer“ heißt und symbolisch für den Kampf darum steht, irgendwann wieder
in die eigentliche Heimat zurückkehren zu dürfen.
Politisch ist man dabei griechisch-nationalistisch
eingestellt und meint, seiner politischen Ausrichtung mittels zahlreicher
Keltenkreuz-Grafiti auch optisch Ausdruck zu verleihen. Einer Zahnfahne nach zu
urteilen gibt’s auch wohl irgendwie Verbidnungen zur Fanszene von OFK Belgrad
und Dynamo Kiew (?).
Die Zeit bis zum Anpfiff wird kürzer, die Detonationen der
Böller merklich lauter und lassen das alte Gemäuer des Grounds spürbar
erzittern. Aus allen Ecken strömen junge Leute mit Fischerhüten und
Sonnenbrillen herbei. Viele tragen Gruppenshirts, auf denen wiederum vermummte
Ultras zu sehen sind, mindestens ebenso viele sind selbst vermummt und denken
auch nicht daran, diese Anonymität im Verlaufe des Spiels abzulegen. Bin ich
während der ersten Halbzeit auf den völlig zergammelten und für weibliche
Menschen absolut unzumutbaren Toiletten pinkeln, steht plötzlich ein komplett
vermummter Lad neben mir, um seine Notdurft zu verrichten.
Alter, was hier denn los? Absolut geiler Rahmen; der Anorthosis-Anhang
startet in die Partie mit einer satten Bengaloshow.
Quasi zeitgleich stürmt wild gestikulierend gegenüber der
Gästemob aus Limassol herein, der ebenfalls, nachdem alle Fahnen hängen, den
Support aufnimmt und trotz der Distanz sehr gut akustisch wahrzunehmen ist.
Ein Traum ist es dabei allein schon, den Trommlern beider
Szenen zuzusehen, denn da haben beide Seiten äußert begnadete Rhythmusexperten
am Start. Total geistesgestört, aber die
beiden Vorsänger der Heimszene werden von zwei Trommlern flankiert, die ohne Scherz
die gesamte Spielzeit über vermummt zu Werke gehen. Damit nicht genug, es wird stilecht
Sonnenbrille getragen, wohlgemerkt bei einem Abendspiel, wo es bereits seit
knapp 2 Stunden dunkel ist.
Auch der Einsatz von Pyrotechnik kommt auf beiden Seiten
nicht zu kurz und obgleich der Apollon-Mob in der ersten Hälfte ein etwas
größeres Arsenal in die Luft feuert und auch einiges auf dem Platz entsorgt,
hindert dies den Schiri nicht daran, einfach weiter spielen zu lassen. Stark!
Man merkt schon, ich bin ohne konkrete Erwartungen an dieses
Spiel herangegangen und war am Ende schier begeistert. Fußball gespielt wurde
natürlich auch noch, aber dazu fragt mal lieber jemand anderen, ich hatte 90%
der Zeit meine Augen auf den Rängen.
Der Besuch landet ohne lange Überlegungen in meinen Top-Five. Keine Frage.
Nach Spielende wurde die regelrechte Begeisterung lediglich
dadurch etwas getrübt, dass jetzt noch knapp 2 Stunden Fahrt zurück zum Airport
anstanden, gefolgt von einer Nacht an selbigem, da der Flug heimwärts bereits
um 6 Uhr in der Frühe ging.
Fazit aber dennoch: Zypern in jeglichen Belangen ein
Top-Reiseziel für den Herbst. Geiles Wetter, geile Leute, ein paar Top-Szenen
und verhältnismäßig kurze Wege!
Uneingeschränkte Empfehlung!